10-Jahres-Frist bei einer Grundstücksschenkung unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts

Das OLG München (vom 08.07.2022, Az.: 33 U 5525/21) hat eine wichtige Entscheidung zum Pflichtteilsergänzungsrecht gefällt: Pflichtteilsergänzungsansprüche scheiden grundsätzlich aus, wenn zwischen dem Erbfall und der Grundstücksschenkung 10 Jahre verstrichen sind, § 2325 Abs. 3 BGB. Das gilt aber nicht bei einer Grundstücksschenkung unter Nießbrauchsvorbehalt. Dann ist der Fristlauf nach ständiger Rechtsprechung gehemmt zugunsten des Pflichtteilsberechtigten. Anders kann die Rechtslage sein, wenn eine Grundstücksschenkung unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts erfolgt. Hierbei ist zu unterscheiden:

  • Erstreckt sich das Wohnungsrecht auf alle Räumlichkeiten des Grundstücks, so läuft die Abschmelzungsfrist nicht an. Das entschied das OLG München zugunsten des Pflichtteilsberechtigten. Denn dann gibt es rechtlich und wirtschaftlich keinen Unterschied zur Grundstücksübergabe unter Nießbrauchsvorbehalt.
  • Erstreckt sich das Wohnungsrecht nur auf Teilflächen, kann die Abschmelzungsfrist von 10-Jahren zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten anlaufen. Das hatte der BGH am 29.06.2016 (Az.: IV ZR 474/15) entschieden in einem Fall, in dem sich der Erblasser bei einem dreistöckigen Haus nur an einer Etage ein Wohnungsrecht nebst Mitbenutzung des Gartens vorbehalten hatte.

Tipp: Je weiter sich das vorbehaltene Wohnungsrecht inhaltlich einem Nießbrauch annähert, umso eher ist der Fristanlauf des § 2325 Abs. 3 BGB zugunsten des Pflichtteilsberechtigten gehemmt. Dies ist stets eine Einzelfallentscheidung. Bei der Gestaltung von Übergabeverträgen ist darauf zu achten, um etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche zu vermeiden.