Deutsches Pflichtteilsrecht gilt trotz Rechtswahl für englisches Erbrecht, das kein Pflichtteilsrecht kennt

Das OLG Köln (vom 22.04.2021 – 24 U 77/20) hat eine Grundsatzentscheidung gefällt: Ein Engländer, der seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland lebte, aber seine britische Staatsangehörigkeit nie aufgab, hatte ein Testament errichtet und für seinen Nachlass englisches Erbrecht gewählt. Nach seinem Tode klagte ein vom Erblasser enterbtes Kind in Deutschland gegen den Erben auf Auszahlung des Pflichtteils. Das OLG Köln entschied aus deutscher Sicht, dass der Erblasser das englische Erbrecht zwar wählen durfte auf Grundlage der europäischen Erbrechtsverordnung. Englisches Erbrecht sei hier aber nicht anwendbar. Es verstoße gegen grundlegende Rechtsprinzipien des deutschen Erbrechts, dem sog. ordre public (Art. 35 EuErbVO). Denn das BVerfG hat am 19.04.2005 (1 BvR 1644/00) entschieden, dass die deutsche Erbrechtsgarantie in Art. 14 GG den Kindern eine bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung am Nachlass des verstorbenen Elternteils einräumt, den sog. Pflichtteil. Da das englische Erbrecht keinen Pflichtteil kennt und den Kindern gegen den Nachlass nur unter sehr engen Voraussetzungen einen Unterhaltsanspruch bei Bedürftigkeit gewährt, führt die Rechtswahl zu einem mit dem deutschen ordre public unvereinbaren Ergebnis. Daher wendet das OLG Köln auf den Nachlass des ausländischen Erblassers, der in Deutschland lebte, deutsches Erb- und Pflichtteilsrecht an.

Fazit:

Die Entscheidung des OLG Köln ist juristisches Neuland. Danach kann zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen der Kinder kein ausländisches Erbrecht auf Grundlage der europäischen Erbrechtsverordnung gewählt werden, wenn der ausländische Erblasser in Deutschland lebte. Zur Fortbildung des Rechts hat das OLG Köln die Revision beim BGH zugelassen. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof über diese grundlegende Rechtsfrage eine klare Entscheidung fällt.