EuGH-Vorlage zum „Reverse-Charge-Verfahren“ bei Bauleistungen

Mit Beschluss vom 30.06.2011 V R 37/10 hat der BFH dem Gerichtshof der
Europäischen Union Zweifelsfragen zur Vereinbarkeit der Regelung zum sog.
Reverse-Charge-Verfahren vorgelegt. Während im Regelfall der leistende
Unternehmer die Umsatzsteuer abzuführen hat, schuldet für Leistungen, die
der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von
Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen, der
Leistungsempfänger die Umsatzsteuer,
wenn er selbst ebenfalls solche
Leistungen erbringt.

Die Regelung beruht auf der Ermächtigung des Rates vom 30.03.2004
(2004/290/EG) zum Reverse-Charge-Verfahren „bei der Erbringung von Bauleistungen
an einen Steuerpflichtigen“. Unionsrechtliche Zweifel bestehen, ob diese
Ermächtigung nur Baudienstleistungen (sonstige Leistungen), nicht dagegen (Werk-)Lieferungen
betrifft. Denn nach der maßgeblichen Richtlinie (77/388/EWG) können die
Mitgliedstaaten „als Lieferungen … die Erbringung bestimmter Bauleistungen
betrachten.“

Dies könnte darauf hindeuten, dass unter Bauleistungen nur (Bau-)Dienstleistungen
zu verstehen sind. Falls die Ermächtigung sich auch auf Lieferungen erstreckt,
ist weiter zu klären, ob der Mitgliedstaat von der Ermächtigung abweichen und
Untergruppen bilden kann. Denn während der Rat die Einführung des
Reverse-Charge-Verfahrens erlaubt, wenn der Leistungsempfänger
„Steuerpflichtiger“ (d. h. Unternehmer) ist, tritt nach dem deutschen
Umsatzsteuergesetz die Umkehr der Steuerschuld nur ein, wenn der
Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der selbst Bauleistungen erbringt. Dies
war Anlass für das vorliegende Verfahren; denn die Finanzverwaltung geht
insoweit davon aus, dass der Leistungsempfänger beim Bezug einer Bauleistung nur
dann Steuerschuldner ist, wenn zumindest 10 % seines „Weltumsatzes“ im Vorjahr
aus derartigen Bauleistungen besteht. Ob die Klägerin die „10 %-Grenze“
überschritten hat, war Ausgangspunkt des Rechtsstreits.

Die Entscheidung hat nicht nur für die Vergangenheit Bedeutung. Die
Ermächtigung wurde zwar mit Wirkung zum 01.01.2008 durch eine Regelung zur
Umkehr der Steuerschuldnerschaft in der Richtlinie selbst ersetzt (inzwischen
Art. 199 der Richtlinie 2006/112/EG). Auch diese Regelung verwendet den Begriff
„Bauleistungen“ und nimmt ausdrücklich auf Art. 5 Satz 5 der Richtlinie
77/388/EWG (jetzt Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2006/112/EG) Bezug, wonach die
Mitgliedstaaten „die Erbringung bestimmter Bauleistungen“ als Lieferungen
betrachten können.

(BFH-Pressemitteilung vom 03.08.2011)

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