Stellungnahme zu den erbrechtlichen Regelungen im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts

(Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz, Stand: 10. April 2007)

Vorbemerkung:

Die Tendenz des Entwurfs veraltete und problemträchtige Vorschriften zu modernisieren ist ausdrücklich zu begrüßen. Abzulehnen ist aber die geplante Subjektivierung der Verjährung im Erbrecht, da sie erhebliche Abgrenzungsschwierig- keiten und damit Streitigkeiten nach sich ziehen würde. Auch zu weiteren Detailpunkten des Gesetzentwurfes gibt es Kritikpunkte und Änderungsanregungen, die wir in der nachfolgenden Stellungnahme (unter I.) zusammengefaßt haben. Ferner haben wir unter II. dieser Stellungnahme Punkte zusammengefaßt, die dringend reformbedürftig sind und ohne großen Aufwand umgesetzt werden könnten.

I. Stellungnahme zum Gesetzentwurf

  1. Einführung der Regelverjährung von drei Jahren auch für erbrechtliche Ansprüche
    Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes beließ es für erbrechtliche Ansprüche bei einer dreißigjährigen Verjährung (§ 197 I Nr. 2 BGB). Zur Begründung führte er an, daß die Rechtslage nach einem Erbfall oft erst nach längerer Zeit geklärt werden kann, beispielsweise wenn sich ein Testament spät auffindet oder wenn ein Rechtsstreit über die Gültigkeit eines Testaments geführt werden muß (Bundestagsdrucksache 14/6040, S. 106).
    Der vorliegende Referentenentwurf sieht hierin einen Wertungswiderspruch zum allgemeinen Verjährungssystem, welches an Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis anknüpft. Allerdings sieht auch der Entwurf die Notwendigkeit, es für Ansprüche des wahren Erben gegen den Erbschaftsbesitzer und des Vorerben gegen den Nacherben bei einer langen (dreißigjährigen) Sonderverjährung zu belassen (Art. 1 Nr. 11 und 15).
    Die vorgeschlagene Neuregelung ist aus der Sicht der Praxis abzulehnen, da das subjektive Moment der Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände gerade in Erbrechtsfällen eine erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringen würde, wie folgendes Beispiel zeigt:
    Testamentarisch ist E zum Erben und V als Vermächtnisnehmer bestimmt. Der gesetzliche Erbe G bestreitet die Wirksamkeit des Testaments mit Hinweis auf eine angebliche Testierunfähigkeit des Erblassers. Nach langwierigen Beweiserhebungen und mehreren Instanzen kommt es im Erbscheinsverfahren zur Erteilung des Erbscheins an E.
    G gibt sich jedoch nicht geschlagen, sondern erhebt Feststellungsklage gegen E. Als auch dieses Verfahren zugunsten von E beendet ist, sind fünf Jahre vergangen und V macht seinen Vermächtnisanspruch gegen E geltend. E. wendet ein, daß V von Anfang an Kenntnis vom Testament hatte, weil V zudem im Zeitpunkt der Testamentserrichtung engen Kontakt zum Erblasser hatte, sei V auch bestens bekannt gewesen, daß die Behauptung der Testierunfähigkeit haltlos gewesen sei. Er hätte daher alle anspruchsbegründenden Umstände gekannt, weshalb sein Anspruch verjährt sei.
    Die Anspruchsberechtigten werden in derartigen Fällen also zu verjährungshemmenden Maßnahmen gezwungen, da sie die Klärung des Erbfalls aus Vorsichtsgründen in der Regel nicht abwarten können. Aufwand und Kosten für alle Beteiligten steigen an. 
  2. Ausgleichungspflicht bei Pflegeleistungen
    Die vorgesehene Neuregelung durch Einfügung von § 2057 b BGB (Art. 1 Nr. 14) wird begrüßt. Allerdings trägt sie folgender Situation nicht Rechnung, die in der Praxis häufig auftritt:
    Der pflegebedürftige V. wohnt bei seinem berufstätigen Sohn S. und wird dort von der Ehefrau des S. versorgt.Es wird daher vorgeschlagen, in § 2057 b Abs. 1 zu formulieren:
    „Ein gesetzlicher Erbe, der den Erblasser selbst oder durch ihm nahestehende Personen während längerer Zeit gepflegt hat …“ 
  3. Änderung von § 2306 I BGB
    Die bisherige Regelung, die an die Größe des Erbteils anknüpfte, war in der Praxis schwer zu handhaben und daher streitträchtig. Die Neuregelung wird daher begrüßt.
    Allerdings sollte als Folge der Neuregelung in § 2305 BGB für den Zusatzpflichtteil klargestellt werden, daß sich dieser analog zu der Regelung in § 2307 BGB ohne Ansatz der Beschränkungen und Beschwerungen berechnet. 
  4. Einführung der nachträglichen Anrechnungsbestimmung in § 2315 I BGB
    Zu Recht führt die Begründung des Entwurfs aus, daß Laien von dieser Anrechnungsmöglichkeit regelmäßig keine Kenntnis haben und daher auch keinen Gebrauch von ihr machen können. Die Einführung der Möglichkeit einer nachträglichen Anrechnungsbestimmung wird daher begrüßt. Einziges Gegenargument könnte sein, daß dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit genommen wird, das Geschenk zurückzuweisen, wenn er erst später erfährt, daß er es sich anrechnen lassen muß. Ein praktisches Bedürfnis für eine derartige Zurückweisungsmöglichkeit ist aber nicht ersichtlich.
    Allerdings sollte aus dem Entwurf das Wort „nachträglich“ gestrichen werden, damit der Erblasser die Möglichkeit hat, durch Verfügung von Todes wegen zu bestimmen, daß auch künftige Zuwendungen anrechnungspflichtig sein sollen. 
  5. Einführung der pro-rata-Lösung im Recht der Pflichtteilsergänzung
    Die beabsichtigte Neuregelung schwächt die Position des Pflichtteilsberechtigten und wird zu vermehrten Streitigkeiten über den genauen Leistungszeitpunkt sowie zu Manipulationen führen. Sie ist abzulehnen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist unabdingbar, um den Pflichtteilsanspruch vor Aushöhlungen zu Lebzeiten zu schützen. Daß sich der Beschenkte, wie es der Entwurf anführt, während des Laufs der Frist seines Erwerbs nicht sicher sein kann, liegt dabei in der Natur der Sache und ist gerechtfertigt, weil das Schutzbedürfnis des Pflichtteilsberechtigten, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, überwiegt. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang der vom Entwurf angeführte Gesichtspunkt, daß Gemeinnützige Stiftungen oder Vereine keine Planungssicherheit hätten. Durch die derzeit bestehende, klare Fristensituation besteht durchaus Planungssicherheit, im übrigen können die Beteiligten in geeigneten Fällen durch Pflichtteilsverzichtsverträge bereits vor Ablauf der Frist Planungssicherheit schaffen, wobei es der Pflichtteilsberechtigte in der Hand hat, seine Rechte zu wahren.
    Für eine Beibehaltung der 10-Jahresfrist spricht zudem auch der Gleichlauf mit der ähnlichen Vorschrift des § 1375 BGB.
    Dissenting vote unserer Vizepräsidentin, Frau Dr. Constanze Trilsch, Dresden:
    Frau Dr. Trilsch begrüßt die Neuregelung. Hauptargument: Auch Personen im fortgeschrittenen Alter erhielten eine realistische Chance, Pflichtteilsansprüche durch eine Schenkung zumindest zu mindern. Wenn z. B. ein Erblasser im Alter von 80 Jahren eine pflichtteilsmindernde Schenkung vornehmen wollte, so müßte er das Gottvertrauen aufbringen, über 90 Jahre alt zu werden. Nach dem Entwurf könne auch der 80-jährige Erblasser an eine Schenkung denken. Lebe er zumindest noch einige Jahre, erreiche er sein Ziel wenigstens partiell.
    Außerdem: Frau Dr. Trilsch befürwortet die Abschaffung des Pflichtteilsrechts der Eltern. Bei harmonischen Familienverhältnissen würde es ohnehin in der Regel nicht geltend gemacht. Der Elternpflichtteil würde meistens dann geltend gemacht, wenn die Eltern das überlebende Schwiegerkind schikanieren wollten. Anderer Anwendungsfall: Die Eltern beziehen Sozialhilfe, leben im Heim und im Wege des Forderungsübergangs macht das Sozialamt den Pflichtteil zum Teil gegen den Willen der Eltern geltend. 
  6. Erweiterung der Stundungsmöglichkeit in § 2331 a BGB
    Die Neuregelung wird aus den im Entwurf genannten Gründen begrüßt
  7. Neuregelung des Rechts der PflichtteilsentziehungWir sehen die Probleme im Zusammenhang mit den Begriffen „ehrloser“ oder „unsittlicher“ Lebenswandel. Reduziert man aber die Pflichtteilsentziehung auf Straftaten mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, so könnten die Privatautonomie und die Testierfreiheit zu sehr eingeschränkt werden. Es gibt schon krasse Fälle von Fehlverhalten, die es dem Erblasser möglich machen müßten, den Pflichtteil zu entziehen, ohne daß der Sachverhalt nun auch von gewichtiger strafrechtlicher Relevanz wäre. Die Bevölkerung würde die vorgesehene Einschränkung der Pflichtteilsentziehungsmöglichkeiten sicher nicht verstehen. Sie hat schon kein Verständnis dafür, daß zum Beispiel Prostitution bereits nach geltendem Recht kein ehrloser Lebenswandel sein soll.
    Wir bitten das Ministerium also, hier noch einmal über einen Tatbestand schlimmen, ehrlosen Verhaltens nachzudenken, ohne daß eine Straftat größeren Gewichts begangen werden müßte. 

II. Weitere reformbedürftige Punkte

  1. Hausrat im Pflichtteilsrecht
    Bei Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches bildeten Hausratsgegenstände nicht selten den Hauptwert des Vermögens einer Person. Heute ist dies grundlegend anders, selbst Möbelstücke, die bei der Anschaffung teuer waren, sind, sobald sie das Ladengeschäft verlassen haben, praktisch ohne Wert (ausgenommen natürlich Antiquitäten).
    Dennoch hat der Pflichtteilsberechtigte Anspruch auf detaillierte Auskunft und Wertermittlung, was häufig zu einem, insbesondere für Witwen entwürdigenden „Kaffeelöffel-Zählen“ führt und nicht selten als Schikaneinstrument mißbraucht wird.
    § 2311 I Satz 2 BGB sollte daher neu gefaßt werden wie folgt:
    „Bei der Berechnung des Pflichtteils eines Abkömmlings und der Eltern des Erblassers bleiben die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, unberücksichtigt.“
    Durch die Anknüpfung an die in § 1932 BGB verwandte Diktion wird die erforderliche Rechtssicherheit gewährleistet. Zweck der Neuregelung ist es, derartige Gegenstände aus der Pflichtteilsberechnung und -bewertung herauszunehmen, unabhängig davon, ob der Ehegatte des Erblassers oder ob andere Personen Erben geworden sind und ob die Erbfolge auf Testament oder Gesetz beruht. Damit würde zugleich der entsprechende Meinungsstreit geklärt (hierzu Staudinger/Haas, Neubearbeitung 2006, § 2311 Rz. 42). 
  2. Einführung der Rechtskraftwirkung im Erbscheinsverfahren
    Bekanntlich entfaltet die Entscheidung im Erbscheinsverfahren keine materielle Rechtskraftwirkung, für den Laien ist dies völlig unverständlich, wenn im Erbscheinsverfahren über drei Instanzen hinweg über die Erbfolge gestritten wird und dann sich noch ein zivilrechtliches Feststellungsverfahren anschließen kann. Es sollte daher in das FGG eine Regelung aufgenommen werden, wonach die Entscheidungen im Erbscheinsverfahren materielle Rechtskraft zwischen den am Verfahren beteiligten Personen entfalten, also den Personen, denen das Nachlaßgericht Gelegenheit zur Anhörung gegeben hat. 
  3. Modernisierung des Kostenrechts
    Die Gebühr für die Testamentseröffnung fällt mehrfach an, wenn Testamente gesondert eröffnet werden. Letzteres ist zwingend der Fall, wenn der Erblasser Testamente bei verschiedenen Nachlaßgerichten in Verwahrung gegeben hatte. Zwar konnte der Erblasser dem vorbeugen, indem er veraltete Testamente aus der Verwahrung zurücknahm, doch ist diese kostenrechtliche Feinheit dem Laien naturgemäß nicht bekannt.
    Hierdurch tritt eine erhebliche Kostenmehrbelastung der Erben ein, obwohl dem kein nennenswerter zusätzlicher Verwaltungsaufwand gegenübersteht. Es sollte daher in § 103 Abs. 2 Kostenordnung geregelt werden, daß die Gebühr stets nur einmal anfällt. 
  4. Gesetzliches Erbrecht verheirateter, kinderloser Erblasser
    Es wäre daran zu denken, bei dieser Konstellation das gesetzliche Erbrecht zu ändern. Viele kinderlose Ehepaare meinen, kein Testament verfassen zu müssen, weil sie davon ausgehen, daß der überlebende Ehegatte ohnehin gesetzlicher Erbe werde.
    Gerade im Osten verschärft sich diese Problematik dadurch, daß diese Auffassung nach dem ZGB bis zum Tag der Einheit geltendes Recht war. Es wäre also daran zu denken, zu einer Regelung zu kommen, wonach der überlebende Ehegatte beim kinderlosen Erblasser gesetzlicher Alleinerbe ist.